„Wer macht bei uns eigentlich was?“
Sorgearbeit und Mental Load immer noch überwiegend Frauensache
Pünktlich zum Equal Care Day am 1. März erschien im SZ Magazin ein Interview mit der Geschäftsführerin der Klinik Hohes Licht im FrauenWerk Stein e.V., Elke Hüttenrauch, und der Ärztin der Klinik, Dr. Simone Frohwein. In ihrem Artikel geht die Journalistin Luise Land der Frage nach, was „Mental Load“ eigentlich ist und warum diese „unsichtbare Gedankenarbeit“ im Alltag vor allem Frauen zu schaffen macht.
Auf dieser Seite finden Sie eine Zusammenfassung des Beitrags »Mental Load ist unsichtbar, kann aber krank machen« aus dem SZ Magazin vom 31.01.2023
Zum kompletten Artikel (Bezahlversion)
Noch immer wenden Frauen pro Tag im Durchschnitt 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf als Männer – oft zusätzlich zur Berufstätigkeit. Damit sind Frauen von Mental Load automatisch stärker betroffen, erklärt die Geschäftsführerin der Klinik Hohes Licht gGmbH im FrauenWerk Stein, Elke Hüttenrauch. „Gesellschaftlich werden Frauen immer noch in bestimmte Rollenbilder gedrängt, es wird immer noch das Bild der guten Mutter verbreitet. Mädchen bekommen von klein auf vermittelt, dass sie später mal die Super-Mami sein müssen und am besten gleichzeitig noch erfolgreich im Job. Diese Einstellung ist gesellschaftlich und individuell stark verinnerlicht“, beschreibt Elke Hüttenrauch.
„Von den 51 Frauen, die hier regelmäßig bei uns in Behandlung sind, glauben fast alle ernsthaft, dass sie hier sind, weil sie versagt haben. Und schämen sich unglaublich dafür. Die Frauen sehen es als individuelles Problem und kommen gar nicht auf die Idee, dass ihre Symptome strukturelle Ursachen haben könnten. Dass ihre körperlichen Symptome eine angemessene Reaktion auf vollkommen unangemessene Umstände sind, auf ein unmögliches Arbeitspensum, das sie gar nicht schaffen können.“
Was ist Mental Load?
Mit Mental Load wird die unsichtbare Gedankenarbeit rund um Aufgaben aus allen Bereichen der Haushalts- und Sorgearbeit beschrieben. Es geht dabei um Aufgaben, „die privat und gesellschaftlich kaum wahrgenommen werden, aber ohne die der Alltag nicht laufen würde“, so Simone Frohwein. „Dazu gehören Aufgaben wie Kindergeburtstage planen, Einkaufszettel schreiben, Urlaubsreisen für die Familie organisieren, im Blick haben was die Kinder wann zum Anziehen brauchen, Arzttermine für die Eltern und Schwiegereltern planen, sie zu diesen Arztterminen begleiten, Schultüten basteln, wissen, wann wer Geburtstag hat, Geschenke organisieren, und, und, und“, zählt Elke Hüttenrauch auf.
„Das Tückische bei Mental Load ist, dass man ständig für jegliche Organisation zuständig ist und nicht mehr zur Ruhe kommt, aber gleichzeitig wenig Anerkennung dafür bekommt. Die mentale Belastung ist also unsichtbar, kann aber krank machen“, beschreibt Simone Frohwein. Eine chronische Überlastung aus der Gedankenarbeit um diese ganzen Aufgaben könne ernstzunehmende gesundheitliche Folgen haben.
Was bewirkt Mental Load?
Die körperlichen Symptome bei Mental Load seien ähnlich wie bei extremem Stress: Schlafstörungen, Muskelverspannungen, Rückenschmerzen, vermehrtes Schwitzen, Kopfschmerzen, häufigere Migräneattacken, Gewichtsveränderungen, Bluthochdruck bis hin zu Herzrhythmusstörungen. Psychisch könne Mental Load zu Erschöpfungszuständen führen, zu Angstzuständen, Schlafstörungen oder depressiven Episoden bis hin zum Burnout, so die beiden Expertinnen.
Zu den klassischen Anzeichen für Mental Load zählen laut Dr. Simone Frohwein: „nicht aufhörende innere Unruhe, Nervosität, Konzentrationsstörungen, Panikattacken und Schlafstörungen, weil das Gedankenkarussell niemals aufhört, man abends mit einer unendlichen To-do-Liste im Kopf einschläft und morgens mit ihr wieder aufwacht“.
Der Weg, bis Betroffene professionelle Hilfe suchten, sei oft weit. Die Klinik Hohes Licht behandelt ausschließlich Mütter bzw. pflegende Frauen. „Und die kommen in den allermeisten Fällen erst dann zu uns, wenn die Hausärztin oder der Hausarzt erkannt hat, dass die genannten körperlichen und psychischen Symptome extrem stark sind.“ berichtet Dr. Frohwein.
Ein Problem dabei, erklärt Elke Hüttenrauch: „Gesellschaftlich betrachtet denken viele bei Haus- und Sorgearbeit an »das bisschen Haushalt«. Diese Einstellung haben auch Betroffene verinnerlicht.“
„Wer macht bei uns eigentlich was?“
Gegen Mental Load helfe, so Dr. Frohwein, weniger gegenseitigen Druck aufzubauen, Ansprüche herunterzuschrauben, sich nicht mit anderen zu vergleichen. Mehr Anerkennung für die Tätigkeiten in der Sorgearbeit sei ebenfalls sehr wichtig. Entscheidend sei es aber, „die Aufgaben aus der Unsichtbarkeit zu holen und dann gerecht untereinander aufzuteilen. Der erste Schritt ist also, darüber zu reden: Was mache ich eigentlich, und was kann ich abgeben?“
Dr. Frohwein empfiehlt dafür zum Beispiel den Selbsttest der Initiative »Equal Care« (siehe unten). Der dient dazu, „sich und anderen bewusst zu machen, wer wie viel oder wenig Sorgearbeit übernimmt und um welche Aufgaben es sich handelt. Im nächsten Schritt handelt man dann neu aus, wer welche Aufgaben in Zukunft übernimmt. Und schreibt das am besten auch auf.“ Dabei sei es wichtig, dass keine einzelnen Aufgaben verteilt werden, sondern gesamte Zuständigkeitsbereiche. „Ansonsten fühlt sich die Person, die die Aufgaben verteilt, immer noch verantwortlich, und der Mental Load bleibt.“
„Verantwortlich sein, sich zuständig fühlen, Verantwortung tragen für die Kinder, für die Arbeit im eigenen Haushalt, schlicht Arbeit übernehmen, machen – und vor allem mitdenken“, wünscht sich auch Elke Hüttenrauch vom Partner oder der Partnerin der Betroffenen. Ganz praktisch bedeute das:
„Eine Person hängt nicht nur die Wäsche auf, sondern übernimmt den Aufgabenbereich Wäsche von A bis Z – von Wäsche aufhängen bis immer im Kopf haben, wann die Kinder was zum Anziehen brauchen. Und die andere Person geht nicht nur einkaufen, sondern übernimmt den Aufgabenbereich Essen, schreibt Einkaufslisten, kocht und denkt an das Pausenbrot für den nächsten Tag – und an den Kühlschrank der alten Eltern.“
Zusammenfassung des SZ-Interviews: FrauenWerk Stein e.V.
Hier das komplette Interview lesen
Hintergrundinformationen
Im Jahr 2019 nahmen bundesweit knapp 50.000 Mütter und rund 2000 Väter an Kuren
des Müttergenesungswerks teil. In Bayern ist das FrauenWerk Stein e.V. Träger der evangelischen Landesgeschäftsstelle Müttergenesung mit den beiden Kliniken Hohes Licht in Oberstdorf und Sonnenbichl in Aschau. Frauen- und Familiengesundheit steht im Fokus der Kliniken für Mutter, Mutter-Kind sowie Pflegende. Die Kurberatung im FrauenWerk Stein berät im Vorfeld zu Kurmaßnahmen und unterstützt bei Anträgen an die Krankenkassen. Die Familienpflege Nürnberg gehört ebenfalls zum FrauenWerk Stein. Dort finden Familien Hilfe in der Versorgung und Betreuung ihrer jüngeren Kinder, wenn das betreuende Elternteil ausfällt – zum Beispiel durch die Teilnahme an einer Kurmaßnahme. In den beiden Evangelischen Familienbildungsstätten „Elly“ in München und „FBS“ in Nürnberg bekommen Familien ein buntes Angebot zu Bildung, Beratung und Begegnung.
Equal Care Day
Der Equal Care Day ist ein Aktionstag, der auf die mangelnde Wertschätzung und unfaire Verteilung von Fürsorgearbeit aufmerksam macht. Er wird regulär in jedem Schaltjahr am 29. Februar begangen – symbolisch für die oft „unsichtbare“ Care-Arbeit.